Back (in)to Nature – mit Mikroabenteuern
Der Alltag lähmt, die Routine langweilt, die Komfortzone lullt uns ein. Wie wohltuend kleine Ausbrüche sein können, wie einfach es ist, dem Kreislauf zu entkommen und wie gesund sich die Natur auf unser Befinden auswirkt, ist vielfach wissenschaftlich dokumentiert – man muss nur kurz mal aus dem Trott kommen. Wir zeigen fünf aktuelle Trends und Tipps auf, wie man mit Mikroabenteuern und Waldbaden wieder mehr Natur in seinen Alltag integriert.
Getaktet, vorhersehbar, automatisiert, kalkuliert – unser Alltag lässt sich oft so eintönig und überraschungsfrei beschreiben wie die Entwicklung auf einem Konto nach festverzinstem Sparvertrag. Rhythmus und Routine sind auch per se nicht verkehrt, sie schaffen wertvolle Grenzen, wie zum Beispiel Arbeitszeiten und den Feierabend, bieten Verlässlichkeit, geben unserem Leben Struktur und Sicherheit. Und doch vergeht die Zeit gefühlt wie im Flug, wenn die Tage nahezu immer gleich ablaufen. „Psychologisch betrachtet rennt unsere Zeit nur dann so schnell, wenn wir nichts Neues erleben. Irgendwann setzt die Routine ein und verfestigt sich als Langeweile und Stagnation.“, sagt die Wirtschaftsinformatikerin und Unternehmensberaterin Saddia-Kiran Malik im Gespräch mit dem Zukunftsinstitut. „Schalten wir zu oft in den Autopilot-Modus, lähmt dies nicht nur unsere Kreativität, sondern täuscht auch unsere Wahrnehmung – und die Uhr scheint schneller zu ticken.“
Erfolglos versuchen wir Verpasstes oder nicht Erlebtes vor den Bildschirmen zu kompensieren. Denn wir brauchen stattdessen unbedingt persönliche Herausforderungen und neue Impulse zur Weiterentwicklung, wie neurologische Untersuchungen zeigen. Die übermäßige Digitalisierung unseres Alltags fördert ein Bedürfnis nach echten Erlebnissen zusätzlich. Darüber hinaus sind wir so sehr reizüberflutet, durch Licht und Geräusche, Technik und Arbeit, Social Media und Mental Loads, dass uns echtes Abschalten schwerfällt. Nicht aber in der Natur. Durch die Konzentration auf die Vegetation sind wir in der Lage, alles andere zu vergessen und kriegen den Kopf wieder frei. So, wie der US-amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau 1845 in den Wald ging, um inneren Frieden zu finden (wie in seinem berühmten Werk „Walden – Ein Leben mit der Natur“ nachzulesen), sehnen wir uns auch heute noch nach der Natur, wenn Pflichten, Routine und Leistungsdruck zur Last werden – oder unsere Festen bröckeln. Insbesondere in Krisenzeiten, ob persönlichen oder globalen, entwickeln wir ein Bedürfnis nach Erdung, das uns wortwörtlich hinaus in die Natur führt.
Micro adventures – kleine Abenteuer vor der Haustür
Ein Lösungsansatz, der beide Theorien aufgreift, sowohl den kalkulierten Durchbruch der Routine, als auch den kurzfristigen Rückzug in die Natur, stammt von Alastair Humphreys. In seinem 2014 erschienenen Buch „Microadventures“ zeigt der Abenteurer und Autor Möglichkeiten auf, wie man sehr einfach aber effektiv aus Alltag und Komfortzone ausbrechen kann, indem man beispielsweise eine Nacht unter freiem Himmel verbringt oder einem unbekannten Flusslauf folgt. Mikroabenteuer sind klein, lokal und kostengünstig, beginnen wortwörtlich vor der Haustür und können in jeden Alltag integriert werden. Regelmäßig seine Routine zu verlassen, Dinge zum ersten Mal oder neu zu erleben, führe zu einer intensiveren Wahrnehmung der Umgebung und von sich selbst: „Man wird achtsamer, lernt wieder seiner Intuition zu vertrauen, ‚out of the box‘ zu denken“, behauptet auch Malik: „Microadventures katapultieren uns in die Gegenwart, lassen uns auf die positiven Dinge fokussieren, fördern unsere Konzentration, machen uns produktiver und schützen uns vor dem Ausbrennen.“ Ideen für Mikroabenteuer findet man in Humphreys Büchern, Anschluss an Gleichgesinnte in Facebook-Gruppen.
Urban Farming: So geht städtisches Gärtnern heute
Und wenn er Mensch nicht in die Natur geht, kommt die Natur eben zum Menschen: Städtisches Gärtnern liegt im Trend, sowohl im soziokulturellen als auch architektonischen Sinne. Denn die wachsende Zahl der Menschen, die Urbanisierung und der Klimawandel fordern allmählich ein Umdenken. So begrünen inzwischen nicht nur manche Supermärkte ihre Flachdächer, auch aufgeklärte Städter nutzen ihre Balkone zur Selbstversorgung. Sie sind an einem gesunden Lebenswandel interessiert und hinterfragen die Produkte, die sie konsumieren und ihre Herkunft.
Urban Farming, der Anbau von Obst und Gemüse im städtischen Raum, ist also kein zivilisatorischer Rückschritt, sondern ein Versuch zur Optimierung urbaner Lebenskultur und die logische Konsequenz aus Gammelfleisch-Skandalen und geschmacklosen Gewächshaus-Tomaten. Aber auch eine Antwort auf Krisen und Lebensmittelknappheit. In diesem Kontext forscht Dickson Despommier seit rund 40 Jahren an der Columbia Universität in New York. Der Wissenschaftler gilt als Visionär in Sachen urbaner Landwirtschaft und geht davon aus, dass die Zukunft im vertikalen und erdfreien Anbau liegt, wie der Titel seines Buches „Vertical Farm: Feeding the World in the 21st Century“ verheißt. „Die Idee, Nutzpflanzen nicht in Bodennähe, sondern stattdessen in hängenden Töpfen oder sogar in Wasser zu produzieren ist nicht neu,“ betont Despommier in Interviews, „man kann so ziemlich jede Feldfrucht in Nährstofflösung kultivieren. Das wurde nur bislang nicht vorangetrieben, weil es keine Notwendigkeit gab. Heute dagegen befinden wir uns durch den Klimawandel und die Verknappung der Ressourcen in einer Krise.“
Pflanzen brauchen in Wahrheit auch gar keine Erde, sondern Nährstoffe, Sauerstoff und Licht. Erdfreie, sogenannte hydroponische Systeme funktionieren ressourcensparend, beinahe autark und begünstigen das pflanzliche Wachstum enorm. Falsch machen kann man hierbei kaum etwas. Einmal im kühlen Nass versorgen sich die Setzlinge selbst. Übereinander gestapelte Becken vergrößern zudem die Grundfläche für den Anbau um ein Vielfaches. Viele Stadtbewohner schaffen sich inzwischen eigene Pflanzsysteme an und werden zu Selbstversorgern. Aber auch ohne direkten Nutzen machen vertikale Gärten Spaß und Sinn: Sie schlucken den Lärm der Stadt und reinigen die Luft, indem sie Sauerstoff produzieren und ordentlich Feinstaub und CO2 binden. Für die kalten Zeitzonen sollte man Indoor-Alternativen oder eine kleine Gewächshaus-Ausstattung bereithalten. Die nötige Ausstattung, vom kleinen Starter-Set bis zur ökologischen Nährstofflösung, findet man in gut sortierten Baumärkten und Gartencentern.
Birding – altes Hobby neu aufgelegt
Ein Hobby, das sich aktuell nicht nur seiner angestaubten Anhängerschaft sondern auch seines uncoolen Namens entledigt, ist Vögel beobachten bzw. das vom englischen „Bird“ (Vogel) abgeleitete „Birdwatching“ oder kurz „Birding“. Ein sogenannter „Birder“ ist entsprechend jeder, der Vögel beobachtet und es werden immer mehr. Allerdings kann der Anspruch eines Birders stark variieren. Sogenannte Twitcher oder Spotter reisen für seltene Zielvogelarten um die ganze Welt, während sich weniger ambitionierte Hobby-Ornithologen auch mal ziellos treiben und vom Federvieh überraschen lassen.
Viele Vogelfreunde erfassen und teilen Aussehen, Funddaten und die vermutete Art ihrer Entdeckungen per App oder organisieren sich in Gruppen zur gemeinsamen Pirsch. Und auch der Dachverband Deutscher Avifaunisten (Zusammenschluss aller ornithologischen Verbände Deutschlands) registriert einen gesteigerten Zuwachs an Mitgliedern – um ein ganz offizielles Indiz für den Vogel-Hype zu nennen. Birdwatching also als Abschalten mit Mehrwert. Denn das Erfolgserlebnis ist garantiert, irgendeinen Vogel sieht jeder. Ein weiterer Vorteil dieser Freizeitaktivität ist, dass man es ortsunabhänging betreiben kann.
Die bekanntesten Gegenden zum Vogelbeobachten sind wahrscheinlich die Galapagos-Inseln, Afrika, Costa Rica und der Amazonas. Albatrosse und der Zug der Pinguine locken Naturliebhaber in die Antarktis, ein spektakulärer Spot im Spätsommer sind die nistenden Karmesin-Bienenfresser in Sambia, während die Trottellummen auf Helgoland vom Felsen springen. Aber auch weniger bekannte Ziele, wie Sri Lanka und Borneo oder näher gelegene in Europa weisen eindrucksvolle Vogelpopulationen auf.
Ebenso in Deutschland lassen sich viele Vögel beobachten: Weißstörche im Sommer, viele Sing-, Greif- und Wasservögel, Eulen und Falken. Im Frühjahr kommen die Zugvögel aus Afrika, Portugal, Spanien und Frankreich zum Brüten, im Herbst die aus Skandinavien zum Überwintern. Am einfachsten Vögel zu beobachten ist es sogar im Winter, wenn die blattlosen Äste freie Sicht geben. Über 40.000 Vögel von rund 130 verschiedenen Arten werden jährlich beobachtet. Und sogar in der Stadt ist das Vogel-Hobby zum Megatrend geworden, da es inzwischen sogar mehr Arten zu beobachten gibt, als im Umland, was mit der fehlenden Überdüngung im urbanen Raum zusammenhängt – nicht nur Tauben, Sperlinge und Krähen findet man hier, auch Mauersegler, Schwalben, Habichte, Falken, entflohene Papageien und Sittiche zum Beispiel.
Die passende Birding Gruppe ist leicht über Social Media gefunden, über aktuelle Termine informiert auch der NaBu regelmäßig. Ab Ende Februar ist Kranich-Saison!
Waldbaden: Der Trend aus Japan
„Shinrin Yoku“ heißt ein neuer Trend und bedeutet übersetzt soviel wie „ein Bad in der Waldatmosphäre nehmen“– oder kurz Waldbaden. Was in Japan bereits seit den 1980er-Jahren als gefördertes Therapie- und Erholungskonzept anerkannt ist, wird auch bei uns immer populärer, denn die heilende Wirkung der Waldatmosphäre wurde in zahlreichen Studien belegt: Blutdrucksenkung, reduzierte Stresshormone, ein gestärktes Immunsystem und bessere Laune sind nur einige der positiven Effekte, die Forschungsergebnisse der intensiven Sinneswahrnehmung im Wald zuschreiben.
Für ein Bad zwischen den Bäumen ist keine naturmystische Einstellung notwendig, das besondere Waldinnenklima überzeugt von selbst. Während die Blätterkronen das einfallende Licht dimmen und Schadstoffe aus der Luft filtern, verdunsten am Tag bis zu 500 Liter Wasser pro Baum. Das sorgt für kühlere Temperaturen, frischere und feuchtere Luft und produziert nebenbei Sauerstoff und ätherische Öle. „Die darin enthaltenen Terpene regen nicht nur die Produktion der sogenannten Killerzellen an, die unsere Immunabwehr stärken. Zusammen mit der Erde und der modrigen Vegetation entsteht auch dieser ganz besondere und unverkennbare Geruch, der bei den meisten Menschen positiv konnotiert ist und mit Natur, teilweise sogar Kindheit assoziiert wird“, sagt Lia Braun, Diplom-Psychologin, Soziotherapeutin und seit 2016 Forest Therapy Guide.
Auch unsere anderen Organe empfangen die Oberfläche der biochemischen Prozesse im Wald, das Wiegen und Rascheln, Vibrieren, Knistern und Dampfen. Diese umfassende Sinnesanregung vermag die Herausforderungen des Alltags zu marginalisieren, man kann sie besser aus der Distanz betrachten und mit mehr Klarheit. Plötzlich erinnern wir uns daran, dass auch wir ein Teil der Natur sind und diese nicht nur eine Ressource für uns ist. Ob nun zum Abschalten oder zur Rückbesinnung auf die Natur – Waldbaden kann man inzwischen nahezu überall. Lia Braun bietet zum Beispiel geführtes Shinrin Yoku im Berliner Düppeler Forst an, hier geht’s zu ihren Terminen.
Outdoor-Sporttrends Wandern und (Winter) SUPen
Als gleich zu Beginn des ersten Lockdowns plötzlich kleine Outdoor Fitness Spots mit Reckstangen und Boxsäcken aufploppten, wie Schneeglöckchen aus dem noch winterharten Boden, war dies nicht nur spontanem Pragmatismus geschuldet, sondern folgte dem sich fortsetzenden Trend, alles möglichst draußen an der frischen Luft zu machen. Zu den beliebtesten körperlichen Outdoor-Betätigungen zählt seit jeher auch Wandern. Seit etwa 2015 verzeichnen Wanderverband und Alpenverein starke Zuwächse in allen Altersklassen.
Über 70 Prozent der Deutschen spazieren inzwischen regelmäßig zügig und zielgerichtet. Die Motive sind vielfältig und einleuchtend: dem Alltag entfliehen, den Kopf frei bekommen, Stress abbauen, Bewegung an der frischen Luft, an Grenzen stoßen, Landschaften entdecken, die Natur erleben. Schlicht: etwas für Körper und Geist tun. Außerdem sind die Hürden gering: kaum Kosten, Risiken oder Barrieren. Stattdessen baut das stramme Marschieren auf der natürlichen Fortbewegung des Menschen auf und erzeugt Glücksgefühle, das ist wissenschaftlich erwiesen. Das Tempo, die Route und die Gesellschaft kann man selbst bestimmen, weshalb Wandern zum hippen Individualsport avanciert ist und nun als meditativ statt langweilig gilt. Im Winter sollte man natürlich auf eine entsprechende Ausrüstung achten und möglichst nicht alleine losziehen, falls etwas passiert.
Auch eine andere Sportart erfreut sich wachsender Beliebtheit, aus ähnlichen Gründen: Stand Up Paddling lässt sich hervorragend den individuellen Möglichkeiten und Bedürfnissen anpassen und erfordert kein hohes Fitness-Level. Außerdem macht es irre viel Spaß und die fließende Bewegung in natürlicher Umgebung tut gut. Im Winter liegt die Besonderheit vor allem in der Ruhe. Üblicherweise hat man durch Boots- und Schiffsverkehr auf den meisten größeren Gewässern, Kanälen und Seen viel Bewegung und eine entsprechende Geräuschkulisse. Das bleibt im Winter quasi aus.
„Oft hat man das Wasser sogar komplett für sich alleine und hört nicht einmal Vogelgezwitscher.“, erzählt Profi SUPer John Meissner von SUP Trip in Potsdam, „Man kann sich noch besser auf sich und seine Balance konzentrieren.“ Das klingt unglaublich reizvoll. Eine Tour bei Eiseskälte birgt aber auch Gefahren und ist deshalb nicht für Anfänger geeignet. Besser ist es, seine Skills im Sommer soweit zu verbessern, dass man sich einigermaßen sicher fühlt. Gerade im Winter sollte man lieber zu zweit oder in einer Gruppe unterwegs sein, damit man sich gegenseitig helfen kann, wenn doch mal jemand im Wasser landet. Wenn man unsicher ist, empfiehlt es sich außerdem in Ufernähe zu Paddeln. Zur essentiellen Ausrüstung gehören ein wasserdichter Trockenanzug (nicht etwa Neopren, was eher für Sport im Wasser geeignet ist), Funktionsunterwäsche, ein wasserdicht verpacktes Handy und eine Leine (Leash) zwischen Fuß und Board.
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