Fast Fair Fashion: Wie Mandy Geddert mit elastischen Gummibändern nachhaltige Mode noch nachhaltiger macht
Noch steckt das Öko-Gummiband, ebenso wie die gesamte Fair Fashion Bewegung, buchstäblich in den Kinderschuhen. Bald jedoch soll es in vielen Industriezweigen eingesetzt werden und vielleicht irgendwann das herkömmliche Gummiband aus Synthetik ersetzen. Der Weg hierher war hart, nun ist die Nachfrage groß, erzählt Mandy Geddert, die mit ihrer Erfindung nun endlich Erfolge feiert.
Fast Fashion oder Fair Fashion: In der Mode stehen sich zwei Geschäftsmodelle gegenüber. Sie unterscheiden sich fundamental. Für Fast Fashion werden mehrere Kollektionen pro Jahr unter oft menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, maximal billig aus Materialien mit geringer Lebensdauer produziert. Genau das ist ein Problem: Textilien als Massenware sind oft stark mit Chemikalien und Mikroplastik belastet. Sie werden zu Wegwerfmode und schädigen die Umwelt entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Zunächst durch enormen Ressourcenverbrauch und den Einsatz von schädlichen Stoffen bei der Produktion. Und schließlich als Restmüll, weil die Kleidung nicht kreislauffähig und recycelbar ist.
Fair Fashion – auch nachhaltige Mode, Eco Fashion, Green Fashion, Ethical Fashion, Slow Fashion genannt – ist das Gegenteil. Sie wird unter ethischen Arbeitsbedingungen, umweltschonend, aus ökologisch sauberen Materialien produziert. Die Teile sind biologisch abbaubar oder werden recycelt. Fair Fashion ist ein Trend, der sich langsam, aber konstant durchsetzt. Seit einigen Jahren fragen immer mehr Verbraucher*innen diese Qualitäten nach und möchten fair und eco produzierte Mode tragen. Textilsiegel wie IVN Best, GOTS (Global Organic Textile Standard), Bluesign, Fair Wear Foundation, Grüner Knopf zeigen, welche Marken zu Fair Fashion gehören. Aber: Für die Verbraucher*innen ist das mitunter keine große Hilfe. Es gibt zu viele Siegel und sie zertifizieren oft nur einen Teil der Materialien, Produktions- und Lieferketten.
Was fehlt ist ein Standard für alle Schritte im Kreislauf der Textilwirtschaft. Das ist auch für Modeproduzent*innen ein Problem: Wer wirklich nachhaltige Mode herstellen möchte, braucht Zwischenprodukte, die alle gleichermaßen den strengen Kriterien der unterschiedlichen Siegel genügen. Tun sie aber nicht, fand Mandy Geddert heraus. Als sie 2010 ihr nachhaltiges Kindermodelabel CHARLE Berlin gegründet hat wäre ihre Vision von nachhaltiger, schöner Kindermode fast gescheitert. Bei CHARLE Berlin sollen die Kleider, Hosen, Pullover und Jacken für Kinder mindestens drei Jahre mitwachsen können. Dafür sind Gummibänder eine Grundvoraussetzung. Aber sie waren auch die größte Herausforderung.
Im Interview erzählt Mandy Geddert, wieso Gummibänder bisher echte nachhaltige Mode verhindert haben und wie sie den Markt für nachhaltige Gummibänder erst umgekrempelt und dann aufgebaut hat.
Mandy, welche Rolle spielen Gummibänder in der Mode und bei Deinem Label CHARLE Berlin?
„Kaum ein Kleidungsstück kommt ohne Gummibänder aus. Wir sehen sie nur meistens nicht, sie sind verarbeitet in Bündchen von Hosen, Kleidern, Röcken, Jacken und Shirts, sehr viel in Sport- und Outdoorkleidung und in Schuhen wie Chelsea Boots. Ohne Gummibänder würde unsere Kleidung oft nicht sitzen und nicht halten. Und ohne Gummibänder hätte ich keine Mitwachsmode für Kinder anbieten können. Bei CHARLE Berlin war mein Anspruch ein schönes Design von ökologischer Kinderbekleidung, die mitwächst, langlebig ist und für die das Konzept der Nachhaltigkeit über den gesamten Lebenszyklus gilt. Bei den Materialien, wie Stoffe, war das zunächst kein Problem: Sie sind nachhaltig und ich beziehe sie aus Deutschland, habe also eine lokale Beschaffung mit kurzen Wegen. Aber Mitwachskleidung war die Herausforderung: Damit die Röcke und Hosen den Wachstumsschub bei Kindern über drei Jahre mitmachen, brauchte ich Gummiband für Taillenbünde. Das bekam ich 2010 nur aus synthetischem Kautschuk. Mischmaterialien kann man nicht recyceln. Und damit konnte ich mein Verständnis von Nachhaltigkeit nicht umsetzen.“
Kautschuk ist also nicht immer Naturkautschuk?
„Genau. Gummi, also auch Gummibänder, wird aus Naturkautschuk oder synthetischem Kautschuk hergestellt. Die Produktionsarten, die Herstellungsverfahren, haben nichts miteinander zu tun. Naturkautschuk wird aus Latex, der Milch des Kautschukbaums, gewonnen. Dafür wird der Baum angeritzt und die Milch aufgefangen. Synthetischer Kautschuk beruht auf Erdöl und ist ein chemisch hergestelltes Produkt. Damit ist es schwer abbaubar und nicht nachhaltig. Nur: Durch die Sprache lässt sich dieser Unterschied meist nicht erkennen, da heißt es Gummi oder Kautschuk und beide Begriffe werden synonym für Naturkautschuk und synthetischen Kautschuk verwendet. Das führt zu Missverständnissen. Und die Problematik der Umweltfolgen kommen oft nicht zur Sprache, weil mit „Kautschuk“ nur ein Wort für zwei Ausprägungen benutzt wird, für biologisch-hergestelltes Gummi und für die synthetische Variante. Für nachhaltige Mode brauche ich nachhaltige Gummibänder und die sind ausschließlich aus Naturkautschuk. Erstaunlicherweise gab es die im Jahr 2010 aber nicht.
Ich habe dann recherchiert und mich weltweit auf die Suche nach Produzenten gemacht. In Japan hatte ich Kontakt zu einem Hersteller von konventionellen Bändern und Ökobändern, mit hauseigenem Zertifikat. Ich habe mir Muster schicken lassen und versucht herauszubekommen, was in den Bändern enthalten ist. Das war nicht möglich und das Unternehmen hat keine Informationen herausgegeben. Es gehört aber zu meiner Unternehmensphilosophie, nur mit Partnern zusammenzuarbeiten, die transparent sind, wo es keine Vorbehalte gibt. Das gleiche Problem hatte ich mit einem anderen Hersteller aus Deutschland. Zudem war die Qualität schlecht.
Dann dachte ich mir: Okay. Dann machst Du halt die Pionierarbeit und machst die Bänder selber. Es gibt schon so lange Bänder, aber es kann synthetische Bänder noch nicht so lange geben, irgendjemand muss damit mal angefangen haben. Und wer synthetische Bänder herstellt, kann auch Bänder aus Naturkautschuk herstellen. Ab da habe ich weiter geforscht – und bin zwei Jahre lang gegen geschlossene Türen gerannt.“
Aber Du hast dann CHARLE – premium haberdashery gegründet und Dich auf nachhaltige Gummibänder spezialisiert. Wie kam es zu der Wende und zum Durchbruch?
„Ich habe ein Familienunternehmen in Österreich gefunden, das elastische und unelastische Bänder produziert. Leider war der Besitzer zunächst absolut nicht an meiner Idee interessiert. Ich bin aber am Ball geblieben. Konventionelle Gummibänder sind von synthetischen Garnen ummantelt, sei es gehäkelt, geflochten oder gewoben. Bei meinen Bändern sollten genau diese beiden Faktoren anders sein: sie sollten aus Naturkautschuk bestehen und mit Biobaumwolle ummantelt sein. Das Garn habe ich besorgt, das war kein Problem.“
Wieso hatte das Familienunternehmen kein Interesse?
„Noch in 1990er Jahre hatten wir in Deutschland, Österreich und überhaupt in einigen Ländern Europas eine erfolgreiche Textilwirtschaft. Erst in den 1990ern haben viele Unternehmen ihre Produktionen nach Asien verlagert, weil da das Material und die Produktion billiger waren. Für den Familienbetrieb war das eine harte Zeit. Es musste wettbewerbsfähig bleiben und sich dafür spezialisieren. Sie haben es dann geschafft, das Unternehmen zu stabilisieren – durch einen hohen Anspruch an die eigene Qualität und eine Ausrichtung auf Spezialbänder. Ich konnte mit meinen Naturkautschuk-Biobaumwolle-Gummibändern keine interessanten Produktionsmengen in Aussicht stellen – und der Chef wollte kein Risiko eingehen und eine unsichere neue Produktion von Gummibändern starten.“
Wie hast Du es geschafft, das Unternehmen zu überzeugen?
„Ich war fest davon überzeugt, dass der Betrieb und das Team genau die richtigen für mein Vorhaben sind. Deswegen war ich hartnäckig und habe versucht, den Chef zu überzeugen. Ich glaube, ich bin damit an eine eh schon vorhandene Haltung bei ihm gestoßen: Dass es klappen kann und man es versuchen muss. Er sagte dann nach knapp einem Jahr zu und wir starteten die Produktion.
Gegenwind gab es übrigens auch von anderen Designern. Meine Gummibänder aus Naturkautschuk waren ungefähr zehn Mal teurer als die aus synthetischem Kautschuk. Mit der Erhöhung der Produktionsmengen hat sich das geändert, aber noch vor ein paar Jahren ging fast alles in der Mode über den Preis.
Irgendwann war dann der Moment da. Weihnachten 2012 hielt ich das erste kreislauffähige Gummiband in meinen Händen. Jetzt, 2021, sind wir ein Team von fünf Personen in Berlin und das Team in Österreich. Wir haben mehr als 50 unterschiedliche Bänder im Sortiment. Wir entwickeln Bänder auf Kundenwunsch und bieten kleine Mengen an. Damit treffen wir den Nerv junger Designer*innen und Start-ups, die sich der nachhaltigen Produktentwicklung verschrieben haben.“
Wie entwickelt sich die Nachfrage?
„Den Anspruch, komplett nachhaltig produzieren zu wollen und damit strenger zu sein, als die Siegel, teilen mittlerweile viele Produzent*innen. Ich arbeite mit Stephanie Devine von The Very Good Bra, dem Team hinter Daria Daria, Sophie Pollack von we bandits, mit Natascha von Hirschhausen und Annett Borg von besonnen zusammen, um nur einige zu nennen. Und auch die Nachfrage aus Bereichen abseits der Mode steigt und wir rechnen damit, dass sich dieser Trend fortsetzt. Zumal unsere Biobänder eine längere Lebensdauer als konventionelle Bänder haben. Die Gummibänder werden jetzt auch im Schuh- und Produktdesign, in der Spielzeug- oder der Automobilindustrie eingesetzt. Wir forschen weiter und möchten ein Material entwickeln, das noch nachhaltiger ist als unsere Bänder aus Naturkautschuk und Biobaumwolle es jetzt schon sind.
Unsere Vision ist, dass wir weltweit synthetische Bänder durch nachhaltige ersetzen, und auch den nachhaltigen Kautschuk-Anbau voranbringen. Hier gibt es wirklich noch viel zu tun. Wir setzen ganz auf kreislauffähige elastische und unelastische Bänder.“
Du hast Pionierarbeit geleistet: Welche Erkenntnis aus der Anfangszeit hat Dich am meisten geprägt?
„Es ist schwierig, die Qualität auf dem deutschen Markt zu verkaufen. Wenn Du nicht in Masse und billig produzierst, hast Du es schwer, auf dem konventionellen Markt zu bestehen.
Die Konsumenten fragen kaum nach, weil sie die Siegel nicht kennen oder die Unterschiede zwischen den Siegeln und die Komplexität der Siegelvergabe nicht verstehen. Daraus kann man niemand einen Vorwurf machen. Wenn in dem Pflegeetikett eines Shirts 100% Biobaumwolle steht, geht man davon aus, dass auch das Garn, die Etiketten und alle anderen Nähzutaten biologisch sind. Das trifft zwar in der Regel nicht zu, aber das wissen viele nicht.
Das müsste und das würde sich ändern, wenn die Kriterien bei den Siegeln enger würden.
Bei der Nachhaltigkeit als Gesamtkonzept sind die meisten Prozesse noch nicht zu Ende gedacht. Das fängt bei den Rahmenbedingungen für den Anbau von Bio-Baumwolle und deren Logistik meist aus Übersee an und geht über den Vertrieb der Produkte bis zur Entsorgung. Weltweit biologisch und umweltfreundlich agieren, und zwar alle, jede und jeder Beteiligte in der gesamten Wertschöpfungskette überall auf der Welt, bis hin zu uns allen als Konsumenten – das ist eigentlich utopisch. Trotzdem: Ich halte es für machbar.“
Mandy, vielen Dank für Deine Unermüdlichkeit, Hartnäckigkeit, all die Hintergründe und das Interview.
Weiter geht’s direkt im Shop mit der wunderschönen nachhaltigen Kindermode von CHARLE Berlin oder bei CHARLE premium haberdashery, der Shop für durchdachte, eco-faire Gummibänder für Kleidung und Industrie.
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