Hattvika Lodge: Bewusster Tourismus im Herzen der Lofoten
Nachhaltiger, verantwortungsvoller Tourismus wird für Reisende und Gastgeber immer wichtiger. Umso mehr, wenn das Reiseziel für Natur pur steht, wie es bei der Inselgruppe Lofoten im Norden von Norwegen der Fall ist. Die rund 80 Inseln sind berühmt für steile Berge, kristallklares Wasser und Fischerhütten aus rotem Holz, Rorbu oder Rorbuer genannt. Seit Jahrhunderten leben die Menschen auf den Lofoten vom Fischfang. Besonders die Kabeljaufischerei von Mitte Februar bis Ende April gehört noch immer zu den größten saisonalen Fischereien weltweit. Und obwohl die Lofoten derzeit nicht so stark von Überfischung betroffen sind wie andere Regionen der Welt, verliert die Fischerei als Wirtschaftszweig an Bedeutung. Stattdessen nimmt der Tourismus immer mehr zu. Das Ausmaß ist in den Sommermonaten so groß, dass manche von „Übertourismus“ sprechen. Zu viele Touristen sind dann mit Campingbussen und Zelten unterwegs, ignorieren vorhandende Infrastrukturen und schädigen Natur und Umwelt. Das muss so nicht sein.
Guri Jentoft und Kristian Bøe zeigen, dass es anders geht, auch für Individualreisen. Mit ihrer neu errichteten Hattvika Lodge sprechen sie aktive und unabhängige Reisende an und wahren dabei die Grundsätze des nachhaltigen Tourismus. Ihre Lodge ist ein Beispiel dafür, wie ein Ort mit einer langen Tradition und einem großen Erbe in der Fischerei durch ein Tourismuskonzept sowohl erhalten als auch verändert wird.
Wir haben mit Kristian darüber gesprochen, wie Transformation und Integration von Tradition, Moderne, Natur und Nachhaltigkeit gelingen kann.
Der Hafen von Hattvika gehört zu Ballstad. Wenn Du vom Meer kommst, ist es die erste Hafeneinfahrt auf der rechten Seite.
Kristian Bøe war 25 Jahre lang IT- Unternehmer und seine Frau Guri Management-Beraterin in Oslo, als sie sich entschieden ihr Leben von Grund auf zu ändern. Im Jahr 2017 gründeten sie die Hattvika Lodge, ein Start-up im Bereich Tourismus, in dem zu diesem Zeitpunkt keiner von ihnen Erfahrung hatte. Sie verließen Oslo und zogen nach Ballstad auf den Lofoten. Der Fischerort mit 1.124 Einwohnern hat eine lange Geschichte in der Kabeljaufischerei und ist noch heute einer der vier aktiven Standorte der Fischereindustrie der Inselgruppe.
Kristian und Guri wollten einen Teil von Ballstad wieder zu neuem Leben erwecken, an dem bis dahin eine Handvoll von den für die Lofoten typischen Rorbu stand, unbewohnt, ungenutzt und mit Blick auf den Hafen Hattvika. Sie beschlossen, das Areal zu einem lebendigen und dennoch ruhigen und privaten Ort für Gäste zu verwandeln. Besucher sollen einen aktiven Aufenthalt verbringen können, die Natur beim Wandern, Biken, Skifahren, Kajaken erleben oder einfach entspannen und dabei den Ort mit seiner Kultur spüren.
Kristian, Oslo und gute Jobs zu verlassen und sich stattdessen mitten in der Natur auf den Lofoten niederzulassen ist in jeder Hinsicht eine große Veränderung. Was war eure Vision, eure Motivation, das zu tun?
„Zuerst war es ein Traum, die Idee, nicht unser ganzes Leben in der Großstadt verbringen wollen, sondern näher an der Natur. Dann wurde es konkreter. Wir wollten etwas tun, das unserer Meinung nach sinnvoller ist als das, was bisher war. Wir wollten auch etwas zurückgeben, das Wissen und die Erfahrung, die wir in unseren Jobs gewonnen hatten, nutzen und weitergeben. Dann kam das alles zusammen und formte die Idee zu dem, was jetzt die Hattvika Lodge ist. Wir hatten zu dem Zeitpunkt bereits eine enge Beziehung zu den Lofoten, konkret zu Ballstadt. Meine Frau Guri hat eine lange Familiengeschichte in der Gegend, sie ist hier geboren und aufgewachsen. Das kleine Fischerdorf Hattvika Harbour, das auf einer schmalen Insel vor Ballstad liegt und mit dem Ort durch eine kurze Brücke verbunden ist, ist seit sechs Generationen im Besitz ihrer Familie.
Also haben wir die Vision in eine Mission umgewandelt und ein Konzept entworfen, mit dem wir eine Destination entwickeln und einen Ort erhalten und zugleich umwidmen und zu einem tiefen Erlebnis für Touristen ausbauen können. Das Ergebnis ist die Hattvika Lodge. Erhalten, Bewahren und Zukunftsfähigkeit gehen für uns Hand in Hand. Es war uns wichtig, die Tradition von Ballstad und das Erbe der Fischereiindustrie in unsere Vorstellung von einem touristischen Angebot zu integrieren und diese Aspekte mit einem modernen Lebensstil zu verbinden.“
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Was genau ist denn die Tradition von Ballstad?
„Die Fischerei hat eine sehr lange Tradition auf den Lofoten, die Geschichte reicht bis ins Jahr 1.000 n.Chr. und sogar noch länger zurück. Ballstad gehört zu den ersten Fischerorten überhaupt auf den Lofoten und hat immer eine zentrale Rolle gespielt, besonders für die Kabeljaufischerei. Heute sind 90 der 130 Fischereifahrzeuge der Lofoten in Ballstad beheimatet, zusammen mit einer großen Fischereiindustrie, zu der auch Fischfarmen und eine Fischverarbeitungsfabrik gehören.
Der Hafen von Hattvika, an dem die Lodge liegt, gehört zu Ballstad. Wenn Du vom Meer kommst, ist es die erste Hafeneinfahrt auf der rechten Seite. Die Fischereitradition ist hier 150 Jahre alt, aber jetzt sind es nur noch ein paar Boote, die regelmäßig ausfahren. Die meisten bieten jetzt auch auch Angeltouren für Touristen an.
Am Hafeneingang, gegenüber von der Lodge, bei Hattvikholmen, steht die Fabrik von Möller’s Lebertran. Das Unternehmen gibt es seit 1852, es ist der zweit-größte Lebertran-Produzent der Welt. In den wenigen Gebäuden hier arbeiten nur vier Mitarbeiter, aber es ist die einzige Fabrik weltweit. Und die Produktion hat eine Kapazität von 88 Millionen Flaschen reinstem Omega3.“
Genauso typisch wie es die Fischereiindustrie für Nordnorwegen und insbesondere für die Lofoten ist, sind es die Fischerhütten Rorbu. Bis in die 1950er Jahre waren sie während der saisonalen Fischerei der Unterschlupf für Fischer, die bislang unter ihren umgedrehten Booten geschlafen hatten. Sie sind aus Holz gefertigt und stehen auf Holz-Pfählen im Wasser oder in den Felsen am Ufer verankert, das ermöglicht einen direkten Zugang zu den Booten. Die Farbe für den roten Anstrich basiert auf Lebertran und schützt vor Witterungseinflüssen. Rorbu prägen das Landschaftsbild der Lofoten. Heute werden sie zwar nicht mehr als temporäre Unterkunft für Fischer genutzt, aber sie sind für viele Touristen eine wichtige Attraktion. Die wachsende Nachfrage nach Rorbu als Ferienhaus übersteigt den Originalbestand und hat zu vielen Kopien geführt. Neu gebaute, rot gestrichene und auf Pfählen stehende Hütten, die aussehen wie die alten Fischereihütten.“
Was habt ihr von der Fischertradition bewahrt und wie habt ihr sie zukunftsfähig gemacht?
„Wir haben die Rorbu, die früher von Fischern wie Guris Großvater genutzt wurden, sanft renoviert und wieder aufgebaut. Einige Hütten tragen den Namen des Fischers, der dort früher gelebt hat. Jede Hütte hat eine Menge Geschichten zu erzählen – und das tun wir auch, wann immer wir gefragt werden. Einige der Rorbu stammen aus den 1880er Jahren. Wir haben versucht, so viel wie möglich zu erhalten. Wo immer es ging und wenn es nicht beschädigt war, haben wir das Holz und die Balken der Gebäude und auch der Infrastruktur aus Stangen und Brettern übernommen, sogar das Grasdach eines Rorbu hat überlebt. Wir haben die Rorbu mit allem Komfort, WIFI, modernen Bädern, gemütlichen Schlafzimmern und einer guten Küche ausgestattet. Einige Fischerhütten sind mit hölzernen Stegen verbunden, die eine geschlossene Linie zum Hafenufer bilden. Wir haben diese Anordnung beibehalten und eine Sauna, Bänke und Tische hinzugefügt. Hier kann man zusammen sitzen und sich mit anderen treffen. Es ist die Wiederbelebung eines Ortes, der lange nicht mehr genutzt wurde.
Ganz neu haben wir Häuser am Hang errichtet. Sie lehnen sich an die Architektur der Rorbu an, imitieren aber nicht. Wie beim Rorbu haben wir ein Spitzdach, Holz und auch Pfosten verwendet, allerdings aus Stahl, damit die Häuser auf dem Hügel stehen können. Vom Design her passen beide Hausarten perfekt zusammen, aber für unser Verständnis, eine Brücke zwischen Alt und Neu zu bauen, war es wichtig, dass sie nicht gleich aussehen. Jetzt haben wir eine echte Integration, beide Stile bilden eine Einheit. Alle Hütten und Häuser haben einen Blick auf den Hafen, das Hafenleben gehört immer dazu und man kann den täglichen Abläufen folgen, den Fischerbooten beim Kommen und Gehen zusehen oder die Möwen beobachten und ihnen zuhören. Die Geschichte des Ortes ist in der Hattvika Lodge überall sichtbar und spürbar.“
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Wie integriert ihr die Fischerei als Tradition und als Wirtschaftszweig in eure Vision eines touristischen Reiseziels? Das stelle ich mir schwierig vor, vor allem da die Fänge direkt in Ballstad verarbeitet werden und nicht für den privaten Verbrauch bestimmt sind.
„Wir bauen gerade ein Restaurant mit dem Arbeitstitel „Fischereifabrik“, das wir im Herbst 2021 eröffnen. Das Restaurant ist eine Hommage an das Meer und die Fischerei. Der Saal ist weitläufig, mit großen Fenstern und Blick auf die Hafeneinfahrt und die einlaufenden Fischerboote. Wir haben neu für das Restaurant eine eingebaute Anlandezone für frischen Fisch gebaut. Der Fischer hält direkt an der Küche und bringt den Fang des Tages zu unserem Chefkoch. Nur eine Leiter trennt das Boot von der Küche. Ein Teil des Restaurants ist zudem ausschließlich für die Zubereitung des Fisches reserviert. Die Gäste können dabei zuschauen, wie der Fisch verarbeitet wird, den sie gewählt haben. Es freut uns sehr, dass der Bau so geklappt hat und das wir umsetzen konnten, was wir uns vorgestellt hatten. Es war ein wichtiger Teil der Vision und der Idee der Hattvika Lodge, das Bewusstsein für die Fischertradition am Leben zu erhalten.
Und in der Hattvika Lodge befindet sich die einzige Lebertran-Verkostungsstation, die es gibt. Damit schlagen wir eine Brücke zwischen der Fabrik am anderen Ufer, auf die man draufschaut, und dem sinnlichen Erlebnis, wenn man den Lebertran kostet. Einige unserer Besucher erinnern sich an ihre Kindheit, als ein Löffel Lebertran zum Tagesablauf gehörte. Für uns gehört der Schluck am Morgen zur täglichen Routine, ich bin ein großer Verfechter der gesunden Aspekte von Tran.“
Ihr unterstützt die lokale Wirtschaft, entwickelt und verändert ein mehr oder weniger ungenutztes Gebiet, fördert einen bewussten Lebensstil in der Natur, ohne die Umwelt zu schädigen. All dies sind wichtige Aspekte eines nachhaltigen und achtsamen Tourismus. Aber auf den Lofoten muss außer Fisch fast alles Frische, vom Salat bis zum Gemüse, importiert werden, und das meiste wird in Plastik oder in einer anderen Form von Verpackung geliefert. Wie vereinbart ihre eure Grundsätze des bewussten, nachhaltigen Tourismus mit dem scheinbar unerreichbaren Ziel, keinen Abfall zu produzieren?
„Abfall ist in der Tat ein großes Problem, insbesondere Plastikmüll. Auf den Lofoten können wir auf dem felsigen Boden kein Gemüse anbauen und die Lieferwege für frische Lebensmittel sind lang. Das macht eine Art von Verpackung unumgänglich. In der Hattvika Lodge versuchen wir bereits, Einwegplastik zu vermeiden, wann und wo immer es möglich ist. Eines der ersten Dinge, die wir unseren Gästen bei der Ankunft zeigen, ist, wo sie unsere frei-zugängliche Wasserstation finden und wir sagen dazu, dass sie das Leitungswasser in den Häusern trinken können, es ist superfrisch und klar. Außerdem vermeiden wir so Plastikflaschen. Wir stellen auch wiederverwendbare Flaschen in Hattvika zur Verfügung. Und wir haben ein Abfallmanagementsystem und trennen Plastik, Aluminium, Papier, Flaschen und Restmüll. Aber immer noch übersteigt die Menge an Plastikmüll die der anderen Abfallarten um das Vierfache.
Das ist etwas anderes, wenn es um den Fisch in unserem Restaurant geht. Wenn wir den Betrieb aufnehmen, kochen wir nach dem Prinzip „Flosse zu Kiemen“ und nutzen so viel wie möglich und essbar vom Fisch. Wir wollen die Verarbeitung und Zubereitung von Fisch auf ein neues Niveau heben und auch in der Küche unseren Standard beibehalten, so wenig wie möglich an Abfall zu erzeugen. Außerdem setzen wir viele lokal erzeugte Produkten ein, dazu gehören auch Gewürze und Zutaten, die durch Ocean Farminig gewonnen werden, wie Seetang.
Worüber wir uns keine Gedanken machen müssen, ist die Energie. Auf den Lofoten gibt es erneuerbare Energie, sie kommt aus der Wasserkraft.“
Die Hattvika Lodge als Übernachtungsstätte und die „Fischereifabrik“, das Restaurant, stellen eine Einheit dar und geben dem Hafen von Hattvika ein zukunftsweisendes neues Gesicht. Ist der Prozess der Umgestaltung des Areals mit der Eröffnung des Restaurants abgeschlossen?
„Die Entwicklung und Umwandlung des Standortes in ein Areal, in dem wir Tradition und Moderne zusammenbringen, wird mit der Eröffnung des Restaurants langsam ausklingen, ja. Aber ich denke, wir werden nie stillstehen. Es gibt noch so viele Ideen, neue und alte Träume, mit denen wir zeigen wollen, dass die Hattvika Lodge ein Beispiel für bewussten, zukunftsfähigen Tourismus im Einklang mit der Natur ist.“
Kristian, vielen Dank für dein Vertrauen und die Einblicke.
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