Algen: Minikraftwerke und nachwachsender Rohstoff der Zukunft
Weg von fossilen Energieträgern, hin zu nachwachsenden Rohstoffen für die Energieversorgung. Das ist die Richtung für die Transformation des Energiesektors und das ist das Ziel der Energiewende, an die in der EU und in Deutschland verschiedene Regelungen geknüpft sind. Eine davon besagt, dass bis 2020 mindestens zehn Prozent der im Verkehrssektor eingesetzten Energie aus erneuerbaren Energien kommen soll. Das sind vor allem die Biokraftstoffe Biodiesel, Bioethanol und Biogas. Wobei „bio“ in diesem Zusammenhang bedeutet, dass die Rohstoffe für die Kraftstoffe aus nachwachsendem, biologischem Material, also aus Biomasse stammen. Raps geht in Öl ein und daraus wird Biodiesel. Getreide und Zuckerrüben werden zu Bioethanol und dann zu Benzin. Das Problem hierbei: Für den Anbau von Raps oder Getreide zur Biokraftstoffproduktion braucht es riesige Ackerflächen. Die würden dann dennoch nicht reichen, um den Bedarf zu decken und sie stünden für andere Anbauarten auf der gleichen Fläche nicht mehr zur Verfügung. Auf der Suche nach Alternativen stellen Algen einen potenten Hoffnungsträger dar, der schon seit den 70er Jahren genauer erforscht wird.
Multitalent Mikroalgen
Sie sind grün, blaugrün, gelb oder braun, mikroskopisch klein oder groß und wackelig-glibbelig. Algen haben viele Gesichter, vor allem aber sind sie nahezu unendlich anpassungsfähig, flexibel, zäh und nährstoffreich. In der Wirtschaft spielen Mikroalgen schon lange eine wichtige Rolle: Als Bindemittel und Stabilisator sorgen sie für den nötigen Zusammenhalt aller Inhaltsstoffe – das gilt für Joghurt und Frischkäse genauso, wie für Zahnpasta und viele andere Produkte des täglichen Lebens.
Ob für Farben oder Kosmetik, Mode, Lifestyle oder Architektur: In vielen Bereichen laufen Pilotprojekte mit Algen. Das Algenhaus in Hamburg gehört dazu. In die Fassade sind Photobioreaktoren* integriert, 3D-Algenfarmen, die sowohl als Isolierschicht, als auch als Warmwasserlieferant für das Haus dienen. Zudem werden die darin gezüchteten Mikroalgen extrahiert und für die weitere Verwendung verkauft. Auch in Paris gab es den Versuch, mit Algenfassaden sowohl Wasser zu reinigen als auch Energie zu erzeugen. Die Algen klären das Abwasser und Regenwasser und binden unerwünschte Verunreinigungen in der Biomasse*. Da der Prozess ohne Chemikalien auskommt, kann das geklärte Wasser beispielsweise als Grauwasser* für die Toilettenspülung verwendet werden. Diese Ansätze könnten ein wichtiger Schritt in der Kreislaufwirtschaft von Gebäuden sein. Aber die Prototypen haben sich aber bislang nicht großflächig durchgesetzt.
Algenforschung: Juliane Wolf lässt Algen wachsen
Die Möglichkeiten für die Verwendung von Algen als nachwachsender Rohstoff für die Kreislaufwirtschaft und als Alternative zu Plastik und fossilen Brennstoffen scheinen enorm. Geht es aber nach Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen weltweit, steht die Forschung erst am Anfang: Das volle Potenzial von Algen in der industriellen Nutzung entfaltet sich erst noch.
Was haben Algen, was andere Rohstoffe nicht haben? Was macht sie so speziell und was können Algen, was andere Rohstoffe nicht können? Welchen Beitrag können Algen für eine Wirtschaft liefern, die sich unabhängig von fossilen Energien machen möchte und machen muss?
Juliane Wolf kennt die Antworten. Die 36-jährige Wissenschaftlerin hat sich der Algenforschung verschrieben und arbeitet in Brisbane an „The University of Queensland“. Juliane ist Biotechnologin, hat Bioverfahrenstechnik und molekulare Biotechnologie und Verfahrenstechnik studiert, erst in Köthen, dann in Münster. Nach ihrem Master ging sie nach Australien, um dort ihre Doktorarbeit zu schreiben. Ihr Thema: Wie lassen sich die Wachstumsbedingungen der Algen im Kleinstmaßstab effizient optimieren und wie lassen sich diese Erkenntnisse auf den großen Maßstab übertragen?
Seitdem managed Juliane eine Algenpilotanlage und lässt Algen wachsen. Gemeinsam mit ihrem Roboter, den Photobioreaktoren und ihrer KI untersucht sie in Brisbane, wie man Mikroalgen-Technologien mit innovativem, nachhaltigem Landmanagement und mit Wasseraufbereitungspraktiken zusammenführen kann. Das Ziel ihrer Untersuchungen ist, die Wasserqualität, Bodenbiologie, Pflanzengesundheit und Düngemitteleffizienz zu verbessern. Ihre Forschungsergebnisse mit Mikroalgen sollen die Nachhaltigkeit und Rentabilität von Landwirtschaft, Viehzucht, Bergbau und kommunaler Abwasseraufbereitung optimieren und die Frischwassersicherheit für die Zukunft gewährleisten.
Im Gespräch entführt Juliane Wolf in die Welt der Algen und verrät die Geheimnisse der Minikraftwerke Mikroalge.
Juliane, was sind eigentlich Algen?
„Algen sind pflanzenartige, einzellige Organismen, die meist im Wasser leben, allerdings auch an Land gefunden werden können. Sie sind ungefähr 300 Millionen Jahre alt und damit älter als Pflanzen. Sie sind also tatsächlich die Vorfahren der Pflanzen.
Es gibt Mikro- und Makroalgen. Die Makroalgen sind die, die man vom Sushi kennt. Sie haben eine richtige Struktur, mit Zellen, die bestimmte Aufgaben haben und dann miteinander wachsen. Die Mikroalgen wiederum sind Einzeller oder nur vergleichsweise kleine Zellverbände. Sie brauchen sich nur teilen, um zu wachsen und können sich deswegen sehr schnell vermehren.“
Algen sind Weltmeister im Wachstum.
„Das ist ihre wichtigste Eigenschaft für die industrielle Nutzung. Pflanzen machen das sehr viel langsamer, sie müssen erst einen Strukturapparat aufbauen, um auf der Erde zu stehen.
Kein anderer Organismus der Erde vereinigt die Eigenschaften von Algen: Sie nutzen Licht als Energiequelle, sie brauchen Sonne und betreiben dann Photosynthese. Sie filtern also CO2 aus dem Umfeld und setzen Sauerstoff frei, so wie Pflanzen. Und sie verwenden Wasser mit den dort vorhandenen Inhaltsstoffen und wandeln es in organische Moleküle um, die sie für ihr Wachstum brauchen. Wenn die Gegebenheiten genau stimmen, können sie sich explosionsartig vermehren, während das Wasser, in dem sie leben, ihnen Halt gibt oder sie auch von A nach B bringt. Wenn die Gegebenheiten nicht so optimal sind, sind sie Anpassungsweltmeister, weshalb man sie überall auf der Erde findet.“
Woraus bestehen Algen?
„Öl, Proteine und Kohlenhydrate sind die Hauptbestandteile. Dazu kommen Vitamine, Mineralien, Spurelemente und Pigmente. Algen enthalten die unterschiedlichsten organischen Substanzen, die unter spezifischen Bedingungen wachsen. Wenn man versteht, wann welcher Stoff gebildet wird, kann man sich dieses Wissen zunutze machen und interessante Substanzen züchten. Das Glibbrige der Makroalgen kommt durch die Zuckermoleküle zwischen den Zellwänden. Sie sind gallertartig, wie ein Gel, bis zu einem gewissen Grad flexibel und erhalten aber trotzdem ihre Struktur, so dass sie nicht auseinanderfallen. Sie werden für Alginate genutzt, die wir überall einsetzen, vor allem bei der Wundversorgung bei Verbänden und Kompressen, aber auch in der Zahnmedizin, der Nahrung und in Kosmetik.“
Wie züchtet man Algen?
„Algen brauchen Platz. Sei es in über- und nebeneinanderliegen Röhren, in horizontalen Becken, die auch übereinandergestapelt werden können, oder in vertikalen Becken, die dann nebeneinander stehen, wie Scheiben. In ihrer jeweiligen Umgebung brauchen Algen neben Wasser vor allem Licht. Die Lichtzufuhr sollte über viele Stunden des Tages hoch sein. Deswegen stehen große Algenfarmen oft in südlicheren Ländern, mit viel natürlichem Licht. In nördlicheren Gefilden nimmt man zusätzlich noch künstliches Licht. Dazu kommen noch Düngemittel, wie Stickstoff und Phosphat, die über das Wasser zugeführt werden, ergänzt um Spurelemente und manchmal ein paar Vitamine. Das sind dann optimale Bedingungen, damit Algen schnell wachsen.“
Wie lassen sich Algen nutzbar machen?
„Algen werden gezüchtet und dann vom Wasser getrennt und in ihre Bestandteile zerlegt. Als Energieträger für erneuerbare Energien ist besonders das Öl wertvoll. Unter hohem Druck kann man auch die Proteine und Kohlenhydrate in ein Öl umwandeln. Dafür braucht man dann aber zusätzliche Energie. Außerdem müssen nicht gewollte Begleitstoffe extrahiert werden, um die Qualität des Brennstoffes nicht zu mindern.
Der energetisch aber auch finanziell günstigere Prozess wäre, wertvolle Inhaltsstoffe, wie die Proteine, vorher zu extrahieren und zum Beispiel als hochwertiges Futtermittel zu verkaufen.“
Und was ist dann das Geheimrezept, das Algen so spannend für die Industrie macht?
„Die Photosynthese. Und die unbekannte Artenvielfalt.“
Mehr nicht?
„Nein. Blümchen oder Pflanzen, damit bekommt man das nicht hin. Bei Algen geht ja alles. Man kann sie als Energieträger einsetzen und zum Beispiel zu Öl machen, Wasser klären oder sie als Ressource für Nahrungsmittel, hochwertige Chemikalien oder sogar als Produktionsplattform für Medikamente und Arzneimittel verwenden.
Algen sind klein, relativ einfach aufgebaut und können sich sehr schnell teilen und vermehren. Als Grundbaustein dient das CO2 aus der Luft anstelle von organischen Kohlenstoffen, wie Zucker-Verbindungen oder Stärke. Sie betreiben Photosynthese und sind energetisch Minikraftwerke. Das ist eigentlich auch schon das ganze Geheimnis.
Zum Beispiel Öl: Wir können mit Algen Öl produzieren, entweder als Omega3 oder als Treibstoff, wie auch immer. Öl ist eigentlich Fett, wie beim Menschen, also eigentlich eine Speicherform von Energie und es wird normalerweise dann produziert, wenn der Nährstoffhaushalt nicht optimal ist. Und somit kann man quasi diese Lösungen, in denen man die Algen kultiviert, so manipulieren, dass sie entweder nur auf Wachstum gehen – also die Zellteilung befördern. Oder – wenn man zum Beispiel mal auf Öl geht – dann lässt man sie hungern. Sie wandeln dann ihre Kohlenhydrate in Fett um.
Ich glaube die Frage sollte eher sein, nicht was macht sie so zu einem Multi-Funktionsobjekt sondern: Was hindert sie daran?“
OK, also: Was hindert Algen daran, zu einem absoluten Alleskönner zu werden?
„Die Kosten.“
Welche Kosten?
„Wenn man sich zum Beispiel vorstellt Weizen vom Feld zu ernten. Dann gibt’s da einen Traktor, der sowohl die gesamte Pflanze aberntet – also die Gesamtbiomasse – als auch eine erste Separierung vornimmt, indem er die Weizenkörner vom Rest trennt. Dies ist ein seit Jahrhunderten optimierter Prozess und inzwischen relativ billig durchzuführen. Die Algen hingegen muss man erst vom Wasser trennen. Dieser Prozess kann durchaus energieintensiv sein, wenn man das in den Großmaßstab überträgt, also zehn Hektar oder mehr, und jetzt nicht an Urban Farming denkt. Da gibt es unterschiedliche Methoden: Filtrieren, Ausflockung, Zentrifugieren oder Kombinationen aus diesen Methoden. Ob sich der Aufwand und der Preis lohnt, hängt vom Marktwert des angestrebten Algen-Produkts ab.
Es gibt da in den letzten Jahren sehr viele Fortschritte, man kann das inzwischen schon viel simpler, oder viel günstiger machen, als noch vor zehn oder 20 Jahren. Aber für Algen als Energieträger ist es noch immer zu teuer, ja. Das bezieht sich auf die Massenproduktion im Großmaßstab und mit Rohstoffprodukten, die sehr günstig sein sollen.
Ein Bio-Treibstoff aus Algen ist aktuell nicht kompetitiv zu einem fossilen Rohstoff wie Rohöl oder Erdgas, die man einfach nur aus dem Boden zur Oberfläche fördert.
Die sind ja schon fertig produziert und haben nur Millionen Jahre unter der Erdoberfläche gelagert. Ein Grundbaustein des heutigen Erdöls sind übrigens auch Algen.“
Aber auf Algen liegen viele Hoffnungen als Ersatz zum Rohöl?
„Ja, das ist auch richtig so, aber hier müssen wir noch viel forschen und noch neue Wege finden. Wenn man den Energiebedarf global betrachtet, wird etwa 80 Prozent davon in Form von Brennstoffen also vorrangig von fossilen Rohstoffen gedeckt, während Strom, also Elektrizität, nur 20 Prozent beiträgt. Erneuerbare Energien liefern heute hauptsächlich nur Strom. Und obwohl der Stromanteil des weltweiten Energiebedarfs stetig steigt, damit die fossilen Brennstoffe in dem Energiemix abgelöst werden können, ist das Problem des Treibstoffs noch nicht gelöst, in keiner Art und Weise. Autos, Flugzeuge, Schiffe, Space Ships brauchen Treibstoff. Genau wie die Schwerindustrie zur Herstellung von Stahl und Zement. Mit Elektrizität alleine können die nicht funktionieren im Moment. Es gibt natürlich solarbetriebene Autos und so was, aber das Gewicht von einer Batterie gegenüber dem Gewicht von einem Treibstoff ist noch lange nicht kompetitiv.“
Wie viel Algen könnt ihr ernten?
„Wir produzieren im Wasser und wir können hier, in Brisbane, in den Subtropen durchschnittlich etwa 25 Gramm Trockenbiomasse* pro Quadratmeter und Tag herstellen. Und wir können ganzjährig kultivieren. Im gemäßigten, europäischen Klima liegt dieser Wert eher bei 15 Gramm.“
Was sind die Herausforderungen in der Algenproduktion?
„Eine davon ist sicherlich die optimale Nährstoffkombination. Bei Pflanzen weiß man relativ gut, welche Fressfeinde es gibt und wie man die bekämpfen kann. bei den Algen ist man halt noch nicht so weit. Ich isoliere beispielsweise Mikroalgen aus Gewässern und versuche dann herauszufinden, welche Nährstoffkombination die am meisten mögen.
Eine andere sind die Lichtbedingungen. Die müssen richtig sein und für unterschiedliche Algenarten gibt es auch unterschiedliche Bedingungen.“
Wie findest Du das Optimum für die Alge heraus raus?
„Ich habe einen Roboter entwickelt, der pipettiert die bestehenden Nährstofflösungen zusammen und ich kann innerhalb von zwei Wochen 1.800 Kombinationen von Nährstoffmedien testen pro Stamm. Das heißt, wenn jetzt eine Nährstofflösung 20 Einzelteile hat, kann ich die in den Konzentrationen hoch und runterschrauben und dann testen, welche Inhaltsstoffe miteinander interagieren und wie sich das auf das Wachstum auswirkt, positiv oder negativ…“
… wenn Wachstum das Ziel ist. Und welche anderen Ziele gibt es zum Beispiel?
„Wenn man andere Ziele hat, bei denen zum Beispiel Proteine die entscheidende Komponente der Algen sind, wird man nicht unbedingt auf Wachstum gucken. Die Frage ist dann: In welcher Nährstoffstoffkombination ist die Proteinkombination am besten. Je nach Alge kann die optimale Nährstoffzusammensetzung sehr unterschiedlich sein. Und dann testen wir als nächstes das Licht. Weil die Photosynthese extrem wichtig ist und jede Alge unterschiedliche Lichtintensitäten oder Tag- und Nacht-Rhythmen mag.
Wenn es der Alge gut geht, wächst sie schnell und teilt sich gerne und wenn es ihr nicht so gut geht, dann macht sie das nicht.“
Roboter, KI, digitale Technik und Technologien spielen also eine entscheidende Rolle?
„Absolut. Denn weil Algen so schnell wachsen, muss man viel schneller reagieren. Es gibt sehr viel Entwicklung im Bereich der Sensortechnik und Automatisierung. Alles, was man misst, muss man auch interpretieren können und da gibt es noch viel zu lernen darüber, was etwas bedeutet, wenn ich es messe. Mit dem Roboter erreiche ich Präzision und ich kann Tag und Nacht messen. Momentan misst er alle drei Stunden – wenn ich das per Hand machen würde, dann müsste ich ewig viele Nachtschichten schieben. Wir kreieren halt extrem viele Daten. Das Bottleneck ist da die Datenauswertung. Dann schreibe ich Software.“
Du musst beides verstehen können, die biologischen Maßstäbe genauso, wie Software und KI?
„Genau. Ich bin die Schnittstelle. Weder purer Biologe noch krasser Ingenieur. Ohne dem Wissen aus beiden Richtungen wäre es schwierig solche Hochdurchsatz-Screenings zu entwickeln. Als reine Verfahrenstechnikerin ist es unmöglich die mikrobiologischen Prozesse im Detail nachzuvollziehen. Als reine Biologin wiederum ist es schwierig, biologische Prozesse in technologisch-wirtschaftliche Prozesse umzuwandeln.
Um die komplexen Zusammenhänge, die in der Biologie vor sich gehen, verstehen zu können, brauchst Du heutzutage Wissen über IT, Software und immer mehr auch Programmierkenntnisse. Da bietet ein Studium in Ingenieurswesen eine ganz gute Grundlage.
Ein Ingenieur, der jetzt ein Fahrrad oder ein Auto zusammenbaut, der kennt jedes Teil und weiß dann, wie es funktioniert. Während wir in der Biologie eine Blackbox haben, eine Alge, oder die Zelle oder die Pflanze. Wir haben einen Input, den wir reingeben, und dann messen wir irgendeinen Output. Wir müssen uns durch Theorien versuchen zu erklären, was da jetzt eigentlich in der Zelle passiert ist. Das geht nur mit vielen Messungen und Datenauswertungen im großen Maßstab.
Um bei dem rasanten Entwicklungsgeschehen in der Forschung mitzuhalten, sind wir in unserem kleinen Forscherteam zudem extrem interdisziplinär aufgestellt. Unser kleines Postdocteam besteht aus einem Biochemiker, einer Molekularbiologin, einem Maschinenbauer, einer Biotechnologin – das bin ich – und unserem Teamchef, der von der Elektronenmikroskopie kommt. Das ist nicht unbedingt typisch für kleine Forschungsteams, die eigentlich sonst eher sehr fachspezifisch aufgestellt sind. Es hat aber den Vorteil, dass wir uns auch auf diverse Anfragen aus der Wirtschaft gut ausrichten können.“
Was interessiert euch in der Forschung am meisten, wofür ihr noch keine Lösung gefunden habt?
„Es gibt noch viel zu forschen. Genau wie bei den Pflanzen werden auch in der Algenforschung immer wieder neue Moleküle oder Molekülkombinationen entdeckt, die neue Anwendungen hervorbringen.
Aber: Es gibt ein theoretisches Maximum, wie schnell wir Algen produzieren können.
Wenn wir berechnen, wie viel Sonnenenergie zur Verfügung steht und wie viel eine Alge davon aufnehmen kann, lässt sich daraus die photosynthetische Effizienz berechnen, die theoretisch möglich ist. Die können wir in der Praxis aber nicht erreichen. Und wir wissen nicht, warum.
Es gibt sehr viele Mechanismen, die da mitreinspielen und dafür verantwortlich sind. Wenn ich jetzt zum Beispiel Licht zuführen möchte, das die Alge als Energiequelle fürs Wachstum braucht, dann hängt der Energiebedarf auch davon ab, wie viele Prozesse in der Alge gerade insgesamt und gleichzeitig ablaufen, die Energie benötigen. Aber zu viel Licht ist auch schlecht. Man kann sich das vorstellen, wie einen Haushalt mit den verschiedensten elektrischen Geräten, wo sich der Strombedarf je nach Nutzung durch die Bewohner von Minute zu Minute dynamisch ändern kann. Ich brauche also ein genaues Maß für die Kriterien: wieviel Licht, bezogen auf die Intensität. Wann brauche ich welches Licht, bezogen auf die Wellenlängen. Also diese Abhängigkeit vom Licht ist extrem schwer zu verstehen. Weil die Photosynthese selbst extrem viele Stellschrauben hat.“
Also ist die Vorstellung, mit Algen fossile Rohstoffe zu ersetzen und sie für Treibstoff zu verwenden noch in weiter Ferne?
„Sie werden es jetzt nicht 100%ig übernehmen, aber es wird ein Baustein sein. Eine Ära wie die der fossilen Brennstoffe wird es nicht noch mal geben. Wo alles auf eine Ressource ausgelegt ist. Es muss ein Mix sein.
Hauptsächlich sind die Algen momentan im Markt in den Sektoren, in denen die Produkte noch verhältnismäßig teuer sind. Also Hochwertprodukte wie Nahrungsergänzungsmittel, natürliche Farbstoffe oder Konservierungsstoffe.
Das nächste wäre dann wahrscheinlich die Protein-Ressource im Tierfutterbereich oder auch als nachhaltiges Düngemittel oder Pflanzenschutzmittel. Wenn man die Algen mit Nährstoffen aus Abwasser kultiviert, könnten wir Umweltprobleme wie die Verseuchung unserer Gewässer mit Nitrat und Phosphor minimieren. Je nach Art des Abwassers muss man dann gucken, für welches Produkt die Algen verwendet werden können. Der Einsatzzweck hängt auch sehr stark von behördlichen Bestimmungen und Einschränkungen ab, die ursprünglich nicht für eine effiziente Kreislaufwirtschaft entwickelt wurden.“
Juliane, ich habe viel gelernt, vielen Dank für das spannende Gespräch und viele Grüße nach Brisbane.
* Photobioreaktor:
Wortzusammensetzung aus altgriechisch phôs, deutsch: Licht (z. B. auch in Phosphor oder Photosynthese) und Bioreaktor, eine Anlage, in der Mikroorganismen wie Algen, Moose, Bakterien, oder andere kleine Pflanzen außerhalb ihrer eigentlichen und natürlichen Umgebung kultiviert werden. In einem Photobioreaktor werden diejenigen Organismen gezüchtet, die Licht zur eigenen Energiegewinnung nutzen und mit Licht und C02 ihre eigene Biomasse aufbauen.
* Biomasse
Bezeichnet die Gesamtheit an organischen Substanzen, ob lebend, tot oder zersetzt, eines Lebensraums, die zur Energieerzeugung in verwendbarer Form zur Verfügung steht. Der Begriff ist nicht eindeutig definiert und wird in Biologie und Energietechnik unterschiedlich definiert.
* Grauwasser
Gering verschmutztes Abwasser aus Dusche, Bad oder von Waschmaschinen, das aufbereitet und dann als Betriebswasser u.a. für die Toilettenspülung, zur Bewässerung im Garten oder gewerbliche Zwecke wiederverwendet werden kann.
* Trockenbiomasse
Das ist nur das Gewicht der Algen, nachdem sie aus dem Wasser genommen wurden, ohne das Gewicht des Wassers.
Algen: Ein Steckbrief
Es gibt mehr Algenarten, als es Pflanzen- und Tierarten zusammen gibt. Seetang, Braunalgen, Phytoplankton & Co: Die Schätzungen, wie viele Algenarten es gibt, reichen von 30.000 bis zu 1 Million*, die am häufigsten zu lesende Zahl ist 400.000. Nur um die 200 Algenarten sind näher bekannt und nur ein Bruchteil davon wird industriell genutzt, z. B. als Nahrungsmittel und in Nahrungsergänzungsmitteln, als Biokraftstoff und Kosmetik, in Medizinprodukten, Wasserfiltern im Hausbau, in der Mode und im Design. Die Algen, die wir im Wasser sehen können und die wir auch als Nahrungsmittel kennen (Sushi, Wakame, Nori u.v.m), gehören zu der Gruppe der Makroalgen. Sie sind nährstoffreich, gelten als Superfood, können bis zu 60 Meter lang werden und finden sich meist in salzhaltigen Meeren, manchmal auch in Süßwasser. Dazu kommt die Gruppe der für das bloße Auge unsichtbaren Mikroalgen, die so heißen, weil sie mikroskopisch klein sind. Mikroalgen werden auch für die wirtschaftliche und industrielle Nutzung eingesetzt und gezüchtet. Besonders bekannt sind Chlorella und Spirulina im Nahrungsergänzungsmittelbereich, Nannochloropsis als Omega-3 Lieferant der Futtermittelindustrie, oder auch Haematococcus im Bereich Antioxidantien und Farbstoffe im Nahrungsmittelbereich. Beispielsweise sind Lachs, Schalentiere oder Flamingos pink, weil sie ein Pigment (Astaxanthin) über die Nahrungskette aufnehmen, das von den Algen stammt.
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