Lofoten Seaweed: Future Food aus dem Meer

Derzeit leben rund acht Milliarden Menschen auf der Erde, bis 2050 werden es fast zehn Milliarden sein. Die Herausforderungen für unsere Ernährung in der Zukunft sind enorm. In der Landwirtschaft ist Ackerland eine endliche Ressource. Die Flächen konkurrieren um eine Nutzung für die Nahrungsmittel-, Vieh- oder Kraftstoffproduktion. Dürren, Überschwemmungen, Kälte und Hitze verringern weltweit die Ernteerträge. Die Böden reichen als Grundlage für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung nicht mehr aus. Lebensmittel, insbesondere Obst, Gemüse und Salate, müssen für möglichst alle Menschen vorhanden und zugänglich sein und dabei – und das ist eine der größten Herausforderungen – auch noch klimafreundlich produziert werden. Wie soll das gehen?

 

Auf der Suche nach Lösungen sind Innovationen und High-Tech genauso wichtig, wie altes und wiederentdecktes Wissen zu gesunden Nahrungsmitteln. Algen, Seetang und Seegras gehören dazu. Schon seit Jahrhunderten sind sie ein fester Bestandteil in der Küche von Küstenbewohnern. Die Wassergewächse sind gesund und reich an Vitaminen, Kalzium, Eisen, Jod, Omega-3-Fettsäuren und Proteinen. Sie wachsen schnell und lassen sich relativ unkompliziert züchten und ernten. Jetzt entwickeln sie sich zu einem Superfood für die Küche der Zukunft. Was macht Algen und Seetang so besonders? Woher stammt das Wissen um die Qualität? Und wie lässt sich ein Unternehmen rund um Algen aufbauen?

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Angelita Eriksen hat die Antworten. Zusammen mit Tamara Singer hat sie das Zwei-Frauen-Startup „Lofoten Seaweed“ gegründet und sich auf handgeerntete Algen spezialisiert. Sie werden frisch oder als Salz, in Nudeln, Schokolade, Salaten, Suppen, Soßen und sogar in Körperseife verwendet. Wir besuchen Angelita in Napp, einem kleinen Fischerdorf im Süden des nordnorwegischen Archipels der nordnorwegischen Inselgruppe Lofoten. Im weltweit einzigen „Lofoten Seaweed“-Laden mit angeschlossenem Pop-up-Restaurant, in dem Köche regelmäßig mit immer neuen Rezepten aus Meeresalgen experimentieren, erzählt Angelita uns die Geschichte von „Lofoten Seaweed“ und damit eine Geschichte von Unternehmertum, Zusammenarbeit, Wissenstransfer und Vertrauen.

Was fasziniert Dich so sehr an Algen, wie bist Du darauf gekommen?

Alles begann, als ich anfing, mich mit Ernährung zu beschäftigen. Ich wollte mich gesünder und gleichzeitig klimafreundlich ernähren. Unser Ernährungssystem trägt maßgeblich zur Zerstörung der Lebensgrundlagen auf unserem Planeten bei. Mehr als ein Drittel aller Treibhausgase sind darauf zurückzuführen. Ich war auf der Suche nach Alternativen bei Lebensmitteln. Bei meinen Recherchen bin ich auf Algen gestoßen. Sie sind mir vertraut, ich bin hier in Napp auf den Lofoten geboren und mein Vater ist Fischer. Ich habe mit ihm gearbeitet und beim Fischen geholfen. Seetang als eine Variante von Algen ist auf den Lofoten allgegenwärtig, ich bin damit aufgewachsen und habe an den Ufern damit gespielt. Aber ich wusste nicht, was Algen für Alleskönner sind, besonders als Nahrungsmittel. Seetang wächst auch bei kalten Wassertemperaturen schnell und problemlos und bietet das gesamte Spektrum an Vitaminen und Mineralien. Er hat eine antivirale und antibakterielle Wirkung. Insbesondere liefert Seetang viele Proteine, Vitamin B und Jod, also Nährstoffe, die sonst am ehesten durch Lebensmittel tierischen Ursprungs zugeführt werden.

Je mehr ich recherchierte, desto mehr faszinierte mich Seetang und seine Möglichkeiten als Lebensmittel. Für mich war Seetang ein Teil der Lösung in der Ernährung, nach der ich gesucht hatte. Dann habe ich Tamara davon erzählt. Wir sind beide Physiotherapeuten und haben uns angefreundet, als wir unser Masterprogramm in Australien absolvierten. Sie ist Neuseeländerin, ihre Mutter Japanerin, ihr Vater Amerikaner. Ich erzählte ihr ständig von all den neuen Dingen, die ich über Seetang gelernt hatte. Und sie sagte nur: „Ich weiß – ich esse schon mein ganzes Leben lang Algen“. Und dann fingen wir an, über das Kochen zu reden. In Norwegen sprach damals niemand über Algen, in Europa geriet das Wissen darüber ganz allgemein in Vergessenheit. Aber in Asien, und insbesondere in Japan, gehören Algen zur täglichen Küche.

Tamara Singer, Angelita Eriksen ernten Seetang (c) Lofoten Seaweed

Wusstest Du sofort, dass Du das Startup „Lofoten Seaweed“ rund um das Thema Algen gründen willst?

Das war ein Prozess. Wir haben zunächst weiter recherchiert und uns gefragt, warum es relativ wenig leicht zugängliche Informationen über Algen gibt. Und warum sich kaum Unternehmen damit beschäftigen. Wo ist der Flaschenhals, warum engagiert sich niemand dafür? Und dann wurde uns klar: Wir müssen selber dieses Unternehmen gründen, wir können es nicht nicht tun. Wir müssen uns das Wissen und die Motivation aneignen und es einfach machen.

Tamara und ich haben dann 2016 „Lofoten Seaweed“ gegründet, ohne viel unternehmerische Erfahrung. Wir wollten zeigen, dass es eine Alternative in der Ernährung gibt. Wir sahen die Möglichkeit, ein Thema voranzutreiben, von dem wir glauben, dass es eine Rolle in der Ernährung der Zukunft spielen muss, weil es direkt vor unseren Augen wächst. In der Gründungsphase haben wir große Unterstützung von Innovation Norway und anderen Institutionen erhalten.

Wie seid ihr darauf gekommen, dass die Lofoten euer Standort sein sollen?

Die Bedingungen auf den Lofoten sind ideal für Seegras. Das Wasser ist immer in Bewegung und sauber, wir haben hier den viertstärksten Meeresstrom der Welt. Die Algen wachsen wild und können unter diesen Umständen die Nährstoffe gut entwickeln. Außerdem haben wir hier Trüffelalgen, das sind kleine braune Büschel, die tatsächlich diesen köstlichen Trüffelgeschmack haben. Wir bieten sie frisch oder als Zutat in unseren Algensalzen an.

Lofoten Seaweed in Napp, Lofoten, Norwegen

Hattet ihr Erfahrungen aus anderen Bereichen, wie man ein Unternehmen aufbaut?

Nein, das hat zuvor keiner von uns je gemacht. Aber wir hatten unsere eigenen Physiotherapiepraxen. Wir waren es also gewohnt, selbständig zu sein. Ich besuchte eine Unternehmerschule, Tamara arbeitete weiter an der Idee und dem Konzept. Dann bekamen wir eine Finanzierung von Innovation Norway, einem norwegischen Staatsunternehmen für Innovation und Entwicklung norwegischer Unternehmen. Dann kam der Ball ins Rollen: Im Jahr 2018 gewannen wir den Female Business Award im Landkreis Nordland und 2020 gewannen wir mit „Norges Vels Gründerpris“ den Unternehmerpreis des Jahres in der Lebensmittelindustrie für das Thema „Die Proteine der Zukunft für Lebensmittel“.  Es war toll, für die harte Arbeit und die steile Lernkurve ausgezeichnet zu werden.

Was war die größte Herausforderung?

Die Beschaffenheit des Marktes war das Besondere für uns. Auf der einen Seite ist der Markt bereit für unsere Produkte, auf der anderen Seite schaffen wir ihn gerade erst. Als Unternehmer, die mit Algen arbeiten, müssen wir den Markt, in den wir einsteigen wollen, erst einmal aufbauen. Unsere Arbeit ist dadurch doppelt so schwer. Aber für mich ist das eine der erfüllendsten Tätigkeiten, die ich je gemacht habe. Einen Wandel herbeizuführen und Menschen einen Grund zu geben auf neue Weise darüber nachzudenken, woher unsere Lebensmittel kommen und wie sie produziert werden, das ist ein spannendes, hochaktuelles Thema.

Wie habt ihr euch das Wissen über Algen angeeignet?

Wir hatten das Glück, in Tamaras Mutter eine Expertin für Seetang zu haben. Sie ist eine fantastische Hobbyköchin mit einem ausgeprägten Sinn für Qualität und wählt nur das Beste für ihre Gerichte aus.

Seetang ist eine wichtige Zutat in der japanischen Küche, und Tamaras Mutter weiß alles darüber. Sie kam aus Neuseeland hierher auf die Lofoten und brachte uns bei, was wir über die verschiedenen Sorten, Beschaffenheit, Geschmäcker, Gerüche und Rezepte wissen mussten. Sie verglich den Seetang von den Lofoten mit den hohen Standards, die sie aus Japan kennt, und war von der Qualität mehr als überzeugt. Wir haben viel experimentiert und zum Beispiel gelernt, von der Farbe der Algen auf den Geschmack zu schließen, und auch, welches Geräusch getrockneter Seetang macht, wenn man ihn bricht, und was das für seine Qualität bedeutet.

Natürlich studierten wir intensiv die Theorie und die Bücher zum Thema, nahmen an Netzwerken und Kursen teil, trafen Leute, die mehr Erfahrung hatten als wir, Institutionen und Meeresforschungsinstitute. Besonders wichtig war für uns der Wissenstransfer mit Experten in verschiedenen Bereichen, hier besonders die Erfahrungen, die ich in Irland gemacht haben.

Ich bin nach Irland zu einer Firma namens „THE IRISH SEAWEED CONSULTANCY“ gefahren und habe sie gebeten, mir bei den ersten Schritten zu helfen und mir grundsätzlich zu sagen, was ich zum Thema Seetang wissen muss. Ich wollte nichts übersehen und irgendwelche Wissenslücken haben. Wir gingen die Forschung durch, verschiedene Bereiche, zu den aktuellen Themen und zu dem, was wir derzeit noch nicht wissen. Welche Forschungsartikel und Dissertationen sind relevant, welche Forschungsarbeiten sollte ich lesen, was passiert gerade in den Laboren. Sie nahmen mich zu einigen Unternehmen mit, die wildwachsenden Seetang ernten, damit ich sehen kann, wie sie arbeiten. Sie handeln völlig nachhaltig und ernten auch von Hand.

Ist das ein Mitbewerber, der Dich unterstützt hat?

Ja – und das war eine neue Erfahrung, dass es hier um Zusammenarbeit und Vertrauen ging, ganz ohne Konkurrenzdenken. Ich konnte bei allen Prozessen dabei sein und habe erfahren, was sie tun und was nicht und dabei gelernt, wie ich das in Zukunft übernehmen kann.

Hat Dir der wissenstransfer geholfen?  

Mehr als das. Danach fühlte ich mich wirklich sicher und wohl bei dem, was ich tat. Ich hatte alles gelesen, wir hatten drei Professoren als Mentoren, die wir fragen konnten. Und alles gleich zu Beginn von „Lofoten Seaweed“. Das war der Startschuss für alles. Wir konnten darauf aufbauen, wir konnten an das Wissen andocken, wir wussten, wo wir suchen mussten, und wir lernten mehr Menschen in der Branche kennen.

Zurück auf die Lofoten: Ihr erntet im Winter, das Wasser hat dann etwa 4 Grad, ihr steht im Wasser und erntet von Hand. Warum?

Wir haben mit der manuellen Ernte begonnen, weil wir den direkten Kontakt mit dem Seegras brauchen. Es ist der einfachste Weg, um Wissen über das Ökosystem und die lokalen Besonderheiten, Ortskenntnisse rund um das Erntegebiet zu gewinnen. Außerdem ist diese Methode sehr effizient, wir wollen nachhaltig ernten und mehr über die Gebiete erfahren, in denen unser Seegras wächst.

Spielen Technik und Technologie in diesem Prozess eine Rolle?

Ja, absolut. Mit Unterstützung von „Innovation Norway“ haben wir ein Softwaresystem entwickelt, in dem wir Geodaten, Wetterqualität und die Menge der geernteten Algen erfassen. Die Daten werden regelmäßig abgeglichen, so dass wir Abweichungen feststellen können. Hinter diesem Ernteprotokoll steht auch der Gedanke, dass wir uns als durch und durch nachhaltiges Unternehmen sehen – aber wir wollten auch wissen, ob wir auch wirklich nachhaltig ernten. Die Daten zeigen, dass wir jedes Jahr an der gleichen Stelle die gleiche Menge ernten und sogar mehr erreichen könnten. Aber wir lassen immer einen gewissen Prozentsatz der Algen an dem Standort. Und natürlich gibt es auch verschiedene Arten, wie zum Beispiel die Ozeantrüffel. Sie haben einen eigenen Reproduktionszyklus, der sich von anderen Algenarten unterscheidet. Gerade diese Art ist für Restaurants sehr interessant.

Was sind neben der Expansion eure Pläne?

Es wird nicht genug darüber berichtet, wie wichtig Makroalgen für die Produktion von Sauerstoff und die Reinhaltung der Ozeane sind und dass sie einen großen Teil des Ökosystems ausmachen. Da sind sie der Kindergarten für alle Tierarten und die kleinen Fische und so wichtig für das Leben. Ein Schlüssel dazu, dass Algen ein Teil der Zukunft werden, ist, dass die Menschen Zugang zu ihnen haben.

Besonders im Hinblick auf Algen als Nahrungsmittel der Zukunft ist es wichtig, dass die Menschen lernen, dass es sie gibt und warum und wie man sie nutzen kann. Kommunikation ist ein wichtiger Teil der Arbeit, und wir müssen uns mit Entscheidungsträgern und politischen Organisationen zusammentun, um den Prozess der Markteinführung von Algen zu beschleunigen. Wir stehen noch am Anfang, aber ich glaube, wenn wir alle in der Branche zusammenarbeiten, werden wir sie auch hier in der westlichen Welt zum Mainstream machen können.

angelita, vielen Dank Für das gespräch!

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